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AG Deutsch-Jüdische Geschichte

im

Verband der Geschichtslehrerinnen und -lehrer


Deutsc
hlands (VGD)

Bibliographie / Rezensionen 2

Seite 2

Hier im Anschluss:

1. Peter G. J. Pulzer: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 bis 1914, Göttingen 2004.
2. Avraham Barkai: "Wehr Dich!”. Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C. V.) 1893-1938, München, C.H. Beck, 2002. (hier)
3. Dietz Bering: Kampf um Namen: Bernhard Weiß gegen Joseph Goebbels, Stuttgart, Klett-Cotta, 1991.(hier)
4. Hannes Ludyga: Die Rechtsstellung der Juden in Bayern von 1819 bis 1918. Studie im Spiegel der Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags. Berlin, Berliner Wissenschafts-Verlag, 2007 (Juristische Zeitgeschichte, Abt. 8: Judaica, Bd.3)  (hier)
5.
Falk Wiesemann: Judaica bavarica. Neue Bibliographie zur Geschichte der Juden in Bayern, Essen, Klartext Verlag, 2007. (hier)
6. Wege in die Vernichtung. Die Deportation der Juden aus Mainfranken 1941-1943. Begleitband zur Ausstellung des Staatsarchivs Würzburg und des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin in Zusammenarbeit mit dem Bezirk Unterfranken. Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, München 2003. (hier)

Wird erweitert...

 

Peter G. J. Pulzer: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 bis 1914,. Göttingen, Vandenhoek &  Rupprecht,  2004, 381 S. 29,90 €

Warum wird ein wissenschaftliches Werk vierzig Jahre nach seinem erstmaligen Erscheinen erneut aufgelegt? Und ist nicht die Forschung zum politischen Antisemitismus über den damaligen Stand hinaus weitergegangen? 

Peter Pulzer, Autor des vorliegenden Werkes, wurde 1929 in Wien geboren und lebt seit 1939 in Großbritannien. Dort ist er Gladstone Professor Emeritus of Government and Public Administration am All Souls College, Oxford, und Vorsitzender des Leo Baeck Instituts London. Es gibt kaum eine englisch- oder deutschsprachige Arbeit zum politischen Antisemitismus, die seiner Pionierstudie nicht direkt oder indirekt verpflichtet wäre, so kommentieren Dan Diner und Nicolas Berg im Nachwort die erweiterte Neuausgabe. Das Buch erschien zum ersten Mal auf englisch im Jahre 1964, zwei Jahre später die deutsche Fassung. Damit setzte der Autor einen Standard, der nicht nur die meisten Beiträge seiner Zeit hinter sich ließ, sondern auch häufig nicht mehr erreicht wurde.

Bemerkenswert ist bereits sein thematischer Zugriff im ersten Kapitel. Dieses widmet sich nicht wie vielleicht vom Titel erwarten ist, den Antisemiten, sondern vielmehr den Juden und ihrem gesellschaftlichen Umfeld. So konstatiert er eingangs: „Einer Studie des Antisemitismus, muß, wie kurz sie auch sei, eine Untersuchung der Menschen voraufgehen, gegen die er sich richtete“ (S. 69). Damit nahm Pulzer den Perspektivwechsel vorweg, der mittlerweile in der Didaktik für die Auseinandersetzung mit der Geschichte Juden in Deutschland eingefordert wird. Der sozialstrukturellen Skizze im ersten Kapitel folgt im nächsten Kapitel die Kernthese. Pulzer deutet den Antisemitismus als Gegenbewegung zum Liberalismus. Dabei möchte er den Liberalismus als umfassende Ideologie, „eine Gesamtheit sittlicher Qualitäten“, verstanden wissen. Anhand verschiedener Denkfiguren (z.B. Romantischer Konservatismus, Kult des Völkischen) belegt er die antiliberale Tendenz und Stoßkraft des Antisemitismus.

In zwei weiteren systematisch angelegten Kapiteln werden parallel jeweils die Entwicklungen in Deutschland und Österreich zwischen 1867 und 1900  geschildert, um dann die Darstellung in ein weiteres gemeinsames Kapitel über Deutschland und Österreich 1900 – 1914 münden zu lassen. In diesen Kapiteln werden die wichtigsten antisemitischen Vordenker und die Organisationsformen der Antisemiten vorgestellt, aber auch die Fragen nach der sozialen Trägerschaft des Antisemitismus, nach Aufstiegsbedingungen der antisemitischen Bewegungen oder dem Einfluss antisemitischen Gedankengutes auf politische Parteien und Verbände aufgegriffen.

Die intellektuelle Bandbreite dieses vierzig Jahre alten Werkes ist fürwahr beeindruckend und macht erklärlich, warum Pulzers Werk Ausgangpunkt für zahlreiche Spezialstudien wurde. Was würde Pulzer im Jahr 2004 anders schreiben? Pointiert bring er es auf die Formel: „Die ideologische Komponente des Nationalismus und der populären völkischen Bewegung, insofern sie zunehmend in der Bevölkerung verankert waren, sollte insgesamt stärker betont werden.“ (S. 50). 

Die erweiterte Neuausgabe enthält eingangs einen 45seitigen Bericht über den aktuellen Forschungsstand. Kenntnisreich bilanziert Pulzer darin die Ergebnisse der vergangenen Jahre und skizziert die vielfältigen Fragestellungen. Deutlich wird, dass die Antisemitismusforschung von vereinfachenden Interpretationsmustern weit entfernt ist. Es gibt nunmehr viel verlässlichere Informationen über den in Parteien organisierten Antisemitismus, sowohl in Deutschland als in Österreich und es wird verständlicher, wie ungereimt der Inhalt der antisemitischen Propaganda und Rhetorik in sehr vielem war. Der wohl ergiebigste Teil der jüngsten historischen Forschung besteht in der Neubewertung der sich verändernden politischen und sozialen Struktur des Deutschen Reiches und Mitteleuropas in der Zeit von 1870 bis 1914.  Diese macht deutlich, warum der moderne Antisemitismus „nur in einem Jahrhundert gedeihen [konnte], das vom Liberalismus bereits mit dem Grundsatz der Beteiligung des Volkes an der Regierung bereits vertraut gemacht worden war“ (S. 49). Trotz aller Unterschiede in der Interpretation sind sich die meisten Historiker darüber einig, dass der Antisemitismus in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg nicht mehr auf die etwas kläglichen Parteien und die antisemitisch beeinflussten Verbände beschränkt war.

Pulzer verweist auch auf weiterhin bestehende Forschungsdesiderate. Für den Antisemitismus in Österreich gebe es noch keine Darstellung, welche die unterschiedlichen antisemitischen Strömungen hinreichend gegeneinander abwägen würde. Auch ist die „Kontinuitätsfrage“ für ihn noch nicht beantwortet. Im Gegensatz zu einigen Autoren mag er schwerlich von einer Kontinuität des Antisemitismus seit 1848 oder dem Vormärz sprechen. Einen „modernen“ Antisemitismus gebe es erst, seit es „moderne“ Politik im deutschsprachigen Raum gebe, d.h. seit ca. 1870. 

Der Forschungsüberblick wird durch 14 Seiten abgerundet mit Hinweisen auf empfehlenswerte Literatur zur Geschichte des Antisemitismus. Dieser Literaturüberblick ist nach thematischen und chronologisch orientierten Darstellungen geordnet und auf dem Stand gegenwärtigen Diskurses.

Die Neuausgabe des Buches ist nicht nur ein Gewinn aufgrund des Forschungsüberblickes, sondern Pulzers präziser und anschaulicher Schreibstil öffnet dem Leser auch zahlreiche Perspektiven, so dass das Attribut „Klassiker“  berechtigt ist.

Martin Liepach
Frankfurt

Zuerst erschienen in: Geschichte Politik und ihre Didaktik 34, 2006, Heft 1/2, S. 106-107

 

 

Avraham Barkai: “Wehr Dich!”. Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C. V.) 1893-1938,. München, 2002, C.H. Beck,  496 Seiten

Der "Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" (C. V.), der 1893 in Berlin gegründet wurde, entwickelte sich zur größten Organisation der deutschen Judenheit vor 1933. Im Jahre 1924 besaß er mehr als 630 Ortsgruppen mit über 70.000 Mitgliedern. Dennoch ist der C.V. im Vergleich etwa zur Zionistischen Vereinigung bislang wenig erforscht. Ein Grund war lange Zeit die Quellenlage. Der Verein selbst vernichtete 1933 das Schriftgut über seine politische Abwehrarbeit. Die verbliebenen Akten und die Unterlagen aus den folgenden Jahren wurden 1938 von der Gestapo beschlagnahmt und galten seither als verschollen. Erst die Entdeckung dieses Materials im Moskauer Sonderarchiv zu Beginn der 1990er Jahre ermöglichte eine Erforschung des C.V. auf zuverlässigerer Quellenbasis.

Der Historiker Avraham Barkai hat nun eine Vereinsgeschichte vorgelegt, die von der Gründung bis zur zwangsweisen Auflösung im Jahre 1938 reicht. Seine wichtigsten Quellen sind die entdeckten Akten des C.V. und dessen Publikationen, darunter die Zeitungen "Im deutschen Reich" und  "C.V.-Zeitung". Als Motiv für seine Arbeit nennt der bekennende Zionist Barkai die Einsicht, "daß die jüdische oder zumindest die zionistische Historiographie dem Centralverein eine Rehabilitation schuldet". Der bis in jüngste Zeit erhobene Vorwurf, der Verein wäre eine Bewegung von "Assimilanten" gewesen, die ihr "Judentum" zugunsten des "Deutschtums" aufgegeben hätten, sei unberechtigt. Dabei will Barkai keine Gesamtdarstellung des C.V. schreiben. Vielmehr versteht er sein Buch als Ideengeschichte. Im Zentrum steht die ideologische Entwicklung des Vereins und das Selbstverständnis seiner Mitglieder, die die Diskussionen innerhalb der deutschen Judenheit wesentlich beeinflußten.

Die Gründung des C.V. war eine Reaktion auf das Erstarken des Antisemitismus in Deutschland seit den 1870er Jahren. Ein selbstbewußtes jüdisches Bürgertum wollte die Verteidigung der Errungenschaften der Emanzipation in die eigenen Hände nehmen. Dabei beschritt man einen Weg, der dem "politischen Massenmarkt", der sich in Deutschland entwickelt hatte, angemessen war: die außerparlamentarische Beeinflussung der Politik durch Vertreter spezifischer Sonderinteressen. Entsprechend präsentierte sich der C. V. als Organisation zur Vertretung der jüdischen Belange.

Die konkrete Abwehrarbeit umfaßte u.a. die Abgabe von Empfehlungen im Vorfeld politischer Wahlen oder die Aufklärungsarbeit unter Nichtjuden durch Publikationen und Vorträgen. Ein großer Teil der täglichen Arbeit bestand in der Unterstützung jüdischer Bürger bei rechtlichen Auseinandersetzungen, denn die C.V.-Gründer, von denen viele Juristen waren, bekämpften gemäß ihrer liberalen Prinzipien den Antisemitismus vor allem auf dem Rechtsweg.

Ideologisch sah sich der Verein in der Tradition eines Gabriel Riesser und vertrat das Ideal der "deutsch-jüdischen Symbiose". Zwar betonte er in seinen Publikationen besonders das "Deutschtum", aber dieses Bekenntnis ging nicht zu Lasten des "Judentums". Augenfällige Indizien hierfür sind etwa die Ablehnung der Konversion und die Mitarbeit des gemäßigten Flügels der Orthodoxie. Rabbiner Hirsch Hildesheimer gehörte sogar dem Vorstand an. Die extreme Richtung der Separat-Orthodoxie freilich blieb dem Verein fern.

Seit dem Ersten Weltkrieg führte der C.V. innerhalb der deutschen Judenheit einen "'Zweifrontenkrieg'". Auf der einen Seite stand der Zionismus. Der im Weltkrieg anschwellende Antisemitismus, der die Juden u.a. der Drückebergerei bezichtigte, erhielt 1916 durch die "Judenzählung" im deutschen Heer quasi die amtliche Anerkennung. Diese Entwicklung bestärkte alle jene, die die "deutsch-jüdische Symbiose" für eine Illusion hielten. Hinzu kam, daß die Errichtung eines jüdischen Nationalstaates mit der Balfour-Erklärung in den Bereich des Möglichen rückte. Auf der anderen Seite stand der 1921 gegründete "Verband nationaldeutscher Juden", der eine völlige Assimilation bis hin zur Aufgabe der Religionsriten forderte, um die Juden gänzlich in die deutsche "Volksgemeinschaft" zu integrieren. Er wandte sich entschieden gegen die Haltung des C.V., die durch "Halbheiten und Widersprüchen" charakterisiert sei.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete die innerjüdische Diskussion um die Stellung der Juden in Deutschland und zum "Deutschtum" nicht schlagartig. Der C.V. favorisierte auch unter den sich dramatisch verschlechternden Existenzbedingungen zunächst den Verbleib. Spätestens mit den "Nürnberger Gesetzen" vom September 1935 jedoch konnten sich auch die größten Optimisten im C.V. keiner Illusion mehr über die Zukunft der Juden in Deutschland hingeben. Entsprechend änderte sich die Haltung des Vereins zur Auswanderung.

Barkais Studie beeindruckt durch ihre Quellennähe. Allerdings wird die Freude durch einige Wermutstropfen getrübt. Die Darstellung bewegt sich nicht immer auf der Höhe des aktuellen Forschungsstandes. Beispielsweise verwundert es angesichts des ideengeschichtlichen Ansatzes, daß die Arbeiten von Ulrich Sieg gänzlich ignoriert werden. Auch die Literatur, die unmittelbar den C.V. betrifft, ist nicht erschöpfend berücksichtigt. So scheint der Verfasser Dietz Berings Abhandlung über die Struktur der politischen Perspektiven im C.V. nicht zu kennen. Problematisch ist zudem die fast ausschließliche Konzentration auf Berlin, denn inhaltliche Diskussionen gab es auch in der "Provinz". Die diversen Stellungnahmen von Landesverbänden und Ortsgruppen, die nach Berlin gelangten, belegen dies eindringlich. Schließlich sind angesichts ihrer großen Zahl jene Mängel zu erwähnen, die nicht allein dem Verfasser, sondern auch dem Lektorat anzulasten sind: Fehlerhafte Literatur- und Quellenangaben, ein Literaturverzeichnis, das nur einen Teil der im Anmerkungsapparat zitierten Werke umfaßt, und falsche Lebensdaten bei führenden Persönlichkeiten. Bemerkenswert ist auch die – wohl auf einer Namensverwechslung beruhende - Schöpfung eines virtuellen C.V.-Mitglieds: Ein "Ernst Hirschfeld", der im Werk zweimal auftaucht, ist in den genannten Quellen nicht zu finden. Dennoch schlüpfte er durch die Endredaktion und schaffte auch noch den Einzug ins Personenregister.

Das Verdienst von Avraham Barkai ist es, einen wichtigen Forschungsgegenstand der deutsch-jüdischen Geschichte in Erinnerung gebracht zu haben. Es ist zu wünschen, daß seine Darstellung Anstoß zu weiteren Studien über den C.V. gibt.

Richard Mehler
Würzburg

Zuerst erschienen in: WerkstattGeschichte, 35 (2003), S.154-156

 

 

Dietz Bering: Kampf um Namen Bernhard Weiß gegen Joseph Goebbels, Klett-Cotta, Stuttgart 1991,  527 S.

»Künftige Historiker des deutschen Niedergangs mögen beurteilen, ob in dem Kampf gegen Dr. Bernhard Weiß nicht ein besonders tiefes Tal der Kultur erreicht worden ist«, notierte der Journalist und Rechtsanwalt Rudolf Olden 1932 im »Tagebuch«. Das Vermächtnis der längst überfälligen Bewertung löst der Kölner Sprachwissenschaftler Dietz Bering mit seinem Buch über die Auseinandersetzung zwischen Bernhard Weiß und Joseph Goebbels ein.

Weiß machte als ungetaufter Jude eine unvergleichliche Karriere. Noch im Sommer 1918 wurde er stellvertretender Leiter der Berliner Kriminalpolizei. In ersten Jahren der Weimarer Republik für die Verfolgung von Verbrechen aus politischen Motiven zuständig, wurde er 1925 Chef der Berliner Kriminalpolizei. 1927 Polizeivizepräsident und damit eine bekannte öffentliche Figur. Goebbels war ab November 1926 Gauleiter von Berlin-Brandenburg. 1927 gründete er sein eigenes NS-Wochenblatt »Der Angriff«. Wie gegen keine zweite Person hetzten Goebbels und sein Kampforgan mit permanenten Verleumdungen. Unterstellungen und Polemiken gegen Weiß.

In Anknüpfung an sein Buch »Der Name als Stigma. Antisemitismus im deutschen Alltag, 1812-1933«, das die Struktur des Markierungssystems jüdischer Namen nachzeichnete, geht es Bering in seiner neuen Darstellung darum, die Schärfe des tatsächlichen Gebrauchs der Markierungen durch Instrumentalisierung der Namenspolemik im politischen Alltag der Weimarer Republik aufzuzeigen. Dabei sollen die Angriffe Goebbels auf Weiß nicht als singuläre, besonders abstoßende Erscheinung verstanden werden, sondern sie bilden die Zuspitzung des Gebrauchs antisemitischer Namenswaffen. Bering analysiert die Wirksamkeit des Antisemitismus im Sprachgebrauch und die Grundlagen, auf die er sich beziehen konnte. Die exemplarische Beschreibung der auf Weiß gerichteten Namensattacken läßt erahnen, welchen vielfältigen Aggressions- und Destruktionsweisen jüdische Bürger durch Namenspolemik ausgesetzt waren.

Der Blick bleibt daher notwendigerweise nicht auf die beiden Kontrahenten beschränkt. Mit sehr detaillierten Überlegungen zu seiner Vorgehensweise verleiht der Autor seiner Darstellung ein hohes Maß an Transparenz und Systematik. Neben getrennten biographischen Skizzen der beiden Protagonisten bis zum Kulminationspunkt bereitet er durch die Darstellung sprach- und allgemeinhistorischer Erkenntnisse den Boden, auf dem die Auseinandersetzungen Goebbels contra Weiß historisch angemessen rekonstruiert und bewertet werden können. Die Destruktionskraft des Namens »Isidor«, mit dem Goebbels Weiß belegte, wird erst auf seinem Nährboden verständlich. Konnotation und Assoziation dieses Namens waren dermaßen negativ belegt, daß Weiß alle Prozesse gewann, die er wegen dieses Schmähnamens anstrengte. Vor dem Reichsgerichtshof mußte die Staatsanwaltschaft nicht erst beweisen, daß lsisdor eine Beleidigung war, sondern das Wort selber diente als Beweis für das Vorliegen einer Beleidigung.

Bei den Angriffen gegen Weiß ging es nicht nur um die Verachtung gegen über seiner Person. Die massenhaften Angriffe richteten sich gegen ihn, weil mit ihm zugleich ein Symbol der jüdischen Emanzipation und der Wehrhaftigkeit des ersten demokratischen deutschen Staates getroffen wurde. Weiß saß in der Schaltstelle Berlins, und wer Berlin hatte, der hatte Preußen, und wer Preußen hatte, der hatte das Reich. Weiß wußte das. Solang es ihm aussichtsreich erschien, focht er die Auseinandersetzungen mit öffentlichen Prozessen aus. Weiß wehrte sich weiterhin, als bereits zahlreiche Republikaner die Seiten gewechselt oder aufgegeben hatten. Im Mai 1932 verhaftete er im Reichstag nationalsozialistische Abgeordnete, nachdem diese zuvor einen sozialdemokratischen Parlamentarier zusammengeschlagen hatten. Beim Preußenschlag Papens war er der erste im Polizeipräsidium, der die Rechtmäßigkeit der Absetzung anzweifelte und Polizeipräsident Grzesinski bewegte, mit einen Protestbrief an den neuen lnnenminister Bracht in die Öffentlichkeit zu treten.

Die Verknüpfung historischer, sozialpsychologischer und sprachwissenschaftlicher Elemente, verbunden mit einer klaren Darstellung, und die längst fällige Würdigung des Kampfes Bernhard Weiß' machen das Werk Berings zu einer empfehlenswerten Lektüre.

Martin Liepach
Frankfurt

Zuerst erschienen in: Archiv für Sozialgeschichte, 1994, S. 668-669

 

 

Hannes Ludyga: Die Rechtsstellung der Juden in Bayern von 1819 bis 1918. Studie im Spiegel der Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags. Berlin, 2007 (Juristische Zeitgeschichte, Abt. 8: Judaica, Bd.3) Berliner Wissenschafts-Verlag, 479 Seiten

Die Emanzipation der Juden, die sich in Europa seit dem Ende des 18. Jahrhundert Bahn brach, war zunächst und vor allem ein legislativer Akt. Die Beseitigung ihrer rechtlichen Diskriminierung war der wesentliche Schritt bei der Gleichstellung der Juden. Hierbei gab es zwei konkurrierende Modelle. Das revolutionäre Frankreich gewährte sofort und bedingungslos die Gleichstellung, während fast alle deutschen Staaten, darunter auch Bayern, sich für das Erziehungsmodell entschieden: Die rechtlichen Ausnahmebestimmungen sollten sukzessive und in Abhängigkeit von Assimilationsfortschritten der jüdischen Bevölkerung abgeschafft werden. Seine Umsetzung fand dieses Modell in Bayern im Judenedikt von 1813. Mit der Entwicklung des Parlamentarismus verlagerte sich die Diskussion und die Entscheidung über die weiteren Schritte zur rechtlichen Gleichstellung zunehmend auf die Volksvertretungen.

Angesichts der regen Forschung zur Geschichte der Juden in den letzten Jahrzehnten verwundert es, daß bis heute keine Darstellung der einschlägigen Debatten und Abstimmungen im bayerischen Landtag vorliegt. Es existieren zwar punktuelle Untersuchungen, aber eine umfassende Studie fehlte bisher. Hannes Ludyga hat sich dieses Desiderats angenommen. Seine Dissertation, die er im Wintersemester 2006/2007 an der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht hat, befaßt sich mit den Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten zur Rechtsstellung der Juden in Bayern während der Jahre 1819 bis 1918. Die Beschränkung auf die Kammer der Abgeordneten begründet er damit, daß hier die entscheidenden Debatten stattgefunden hätten; demgegenüber wären die Beratungen der Reichsräte von untergeordneter Bedeutung gewesen (S.1).

Geographisch fokussiert die Arbeit auf das rechtsrheinische Bayern; die Rheinpfalz, wo die französische Judengesetzgebung aus napoleonischer Zeit fortbestand, bleibt weitgehend außen vor. Bei den Quellen stehen die publizierten Protokolle und die zeitgenössischen Presseberichte über die parlamentarischen Verhandlungen im Mittelpunkt. Bei den archivalischen Quellen dominieren die Bestände des Bayerischen Hauptstaatsarchives und des Staatsarchives für Oberbayern in München.

Der Autor wählt für seine Darstellung einen chronologischen Ansatz. Nachdem er die Rechtsstellung der Juden bis zum Jahr 1819 skizziert hat, verfolgt er in fünf Kapiteln die Debatten in der Abgeordnetenkammer, die die jüdischen Bevölkerung betrafen, angefangen bei der Diskussion über die Revision des Judenediktes im ersten Landtag 1819 bis hin zu der antisemitischen Rede des Vorsitzenden der Freien Vereinigung, Friedrich Beckh, im März 1918, die von zahlreichen Beifallsbekundungen aus dem Plenum begleitet war (S.411). Das letzte Kapitel bietet neben der Zusammenfassung einen Ausblick auf die Zeit der "Weimarer Republik".

Ludyga hat eine sehr informative Studie vorgelegt, die von einem umfassenden thematischen Zugriff profitiert. Nicht nur die "großen" Aspekte, wie etwa die staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden, werden angesprochen, sondern auch die "kleinen", wie die Einführung einer Warenhaussteuer im Jahre 1899, die sich - antisemitisch motiviert - vor allem gegen jüdische Warenhausbesitzer richtete (S.374-382).  Zudem gelingt es dem Autor, die eher spröde Materie inhaltlich verständlich und sprachlich leserfreundlich aufzubereiten. Zwar steht in seiner Untersuchung die Kammer der Abgeordneten im Mittelpunkt, aber Ludyga versäumt es nicht, wenn notwendig, auch einen Blick in die Kammer der Reichsräte zu werfen. So stoppte beispielsweise die erste Kammer 1850 einen Gesetzentwurf zur völligen Gleichstellung der Juden, den die zweite Kammer bereits angenommen hatte.

Trotz der Vorzüge der Arbeit im Kernbereich dürfen vereinzelte Schwächen in der Peripherie nicht verschwiegen werden. Das gilt beispielsweise für die Darstellung der Folgen der "Matrikelbestimmungen". Juden mußten sich bis 1861 in eine Matrikel eintragen lassen, bevor sie heiraten und einen eigenständigen Haushalt gründen durften. Die Immatrikulation war an Bedingungen, etwa an das Erlernen bestimmter Berufe, geknüpft. Ludyga schreibt nun: "Die Matrikelbestimmungen zwangen viele Juden zur Auswanderung" (S.415). Dabei scheint er nicht zu bemerken, daß er sich im Widerspruch zu einem Faktum setzt, daß er auf derselben Seite präsentiert: In einer Reihe von Kommunen Ober- und Mittelfrankens waren um die Mitte des 19. Jahrhunderts Matrikelnummern unbesetzt, weil die Inhaber emigriert waren. Die Matrikelbestimmungen können hier offenkundig nicht das Motiv gewesen sein, denn die Auswanderer hatten diese Hürden ja bereits genommen.

Unverständlich ist auch, daß Ludyga bei seinem Literatur- und Quellenüberblick das Standardwerk zur staatskirchenrechtlichen Stellung der Juden in Bayern von Joseph Heimberger nicht erwähnt. Hervorgegangen aus seiner Würzburger Habilitationsschrift von 1893 liefert Heimberger in der zweiten, stark veränderten Auflage aus dem Jahr 1912 eine umfassende Darstellung der Rechtslage der israelitischen Religionsgesellschaft und Kultusgemeinde. Diese zweite Auflage scheint der Autor nicht zu kennen, zumindest zitiert er nur aus der Habilitationsschrift von 1893.

Insgesamt jedoch hat Ludyga mit seiner informativen und gut lesbaren Studie eine wichtigen Beitrag zur Geschichte der Emanzipation der Juden in Bayern geliefert. Jeder, der sich mit der Geschichte der bayerischen Juden im 19. und frühen 20. Jahrhundert beschäftigt, sollte dieses Buch zur Hand nehmen.

Richard Mehler
Würzburg

Zuerst erschienen in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, 72 (2009), 227-229
 

 

Falk Wiesemann: Judaica bavarica. Neue Bibliographie zur Geschichte der Juden in Bayern, Essen, Klartext Verlag, 2007 , 1022 Seiten

Die Forschung zur jüdischen Geschichte in Deutschland blüht seit Jahrzehnten. Entsprechend zahlreich sind die daraus resultierenden Publikationen. Auffällig ist dabei, daß die Veröffentlichungen nicht nur aus dem akademisch-universitären Bereich, sondern auch von Heimatforschern, "Barfuß"-Historikern, "Geschichtswerkstätten" etc. stammen. Dies spiegelt das weit über akademische Zirkel hinaus vorhandene Interesse wider. Stand ursprünglich der Antisemitismus und die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, vor allem in der NS-Zeit, im Mittelpunkt, weitete sich zunehmend die Perspektive. Auch die Jahre vor 1933 und nach 1945 sowie spezielle Aspekte, wie die Landjuden oder - beeinflußt von der Gender-History - die Lage der jüdischen Frauen fanden und finden Aufmerksamkeit.

Angesichts der großen Zahl von Veröffentlichungen und der Tatsache, daß Arbeiten mit lokalgeschichtlichem Bezug oft an entlegener Stelle erscheinen, ist es für den Interessierten schwierig, den Überblick zu behalten. Das gilt auch für den Fall, daß man sich gezielt zu Bayern informieren will. Die von Falk Wiesemann vor fast zwei Jahrzehnten veröffentlichte "Bibliographie zur Geschichte der Juden in Bayern" (1989) ist inzwischen überholt. Zwar gibt es ein Publikationsverzeichnis im Jahrbuch des Leo-Baeck-Instituts, das laufend ergänzt wird, aber zum einen muß man hier die Einträge mit Bayern-Bezug Band für Band erst mithilfe des Registers ermitteln, und zum anderen sind nicht alle lokalgeschichtlichen Arbeiten gelistet. Mit der jetzt vorgelegten "Neuen Bibliographie zur Geschichte der Juden in Bayern" will Falk Wiesemann Forschern und einschlägig Interessierten ein effizientes Hilfsmittel in die Hand geben.

Das Buch umfaßt rund 12.500 Titel. Zum Vergleich: Die Bibliographie von 1989 verzeichnete lediglich 3.000 Titel. Der Zuwachs resultierte teils aus einer Reihe neurecherchierten älteren Einträge, die eigentlich schon damals hätten erfaßt werden müssen, teils aus den Neuerscheinungen seit 1988 (etwa ein Viertel der 12.500 Titel), vor allem aber schlug die Berücksichtigung von einschlägigen Artikeln in der deutsch-jüdischen Presse (u.a. Allgemeine Zeitung des Judentums, Der Israelit) vom 19. Jahrhundert bis zu deren Verbot 1938 zu Buche (S.12).

Geographisch fokussiert das Werk auf das heutige Bayern. Eigene Abschnitte zur Rheinpfalz oder den dortigen Kommunen fehlen.  Die Titel sind zu 27 Themenkreise geordnet. Eigene Abschnitte haben beispielsweise "Enzyklopädien und Lexika", "Bibliographien", "Periodika" oder "Biographien und Genealogien" zum Inhalt. Weitere Stichworte sind u.a. "Gesellschaftsgeschichte", unter der z. B. "Frauen" und "Ostjuden" subsumiert sind, "Kunst, Museen, Ausstellungen", "Zionismus" oder "Friedhof und Begräbnis". Besonders hervorzuheben ist der größte Abschnitt "Lokalgeschichte". Auf mehr als 300 Seiten werden in alphabetischer Reihenfolge bayerische Orte gelistet und die jeweiligen Publikationen zur dortigen jüdischen Bevölkerung erfaßt. Einzelne Kommunen wie Fürth, München und Nürnberg haben noch eine thematische Feingliederung (z. B. Vereine, Ostjuden). Erleichtert bereits die thematische Anordnung der Titel dem Benutzer den gezielten Zugriff, so wird dieser noch erheblich durch die beigegebenen vier Indizes gesteigert: Neben einem geographischen Register sind die Titel durch Personen-, Sach- und Verfasserindizes erschlossen. Positiv ist auch zu werten, daß bei vielen Publikationen kurze Anmerkungen zum Inhalt zu finden sind.

Angesichts des Umfanges  und der Vorzüge des Werkes fallen die Mängel nicht ins Gewicht. So  sind die Annotationen nicht immer zutreffend und in einigen Fällen sind die bibliographischen Daten lückenhaft oder falsch (siehe z.B. Nr.9919).

Als Resümee darf festgehalten werden, daß die von Falk Wiesemann vorgelegte Bibliographie aufgrund ihres Umfanges und ihrer Register ein gutes Hilfsmittel bei der Beschäftigung mit der Geschichte der Juden in Bayern ist. Allen, die sich für das Thema interessieren, kann sie nur empfohlen werden.

Richard Mehler
Würzburg

Zuerst erschienen in:  Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte", 73 (2010), 165-167
 

 

Wege in die Vernichtung. Die Deportation der Juden aus Mainfranken 1941-1943. Begleitband zur Ausstellung des Staatsarchivs Würzburg und des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin in Zusammenarbeit mit dem Bezirk Unterfranken. Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, München 2003, 199 S.

Im Jahr 2000 veröffentlichte das in Berlin ansässige Zentrum für Antisemitismusforschung in seinem Jahrbuch einen Aufsatz, der sich mit der Frage beschäftigt, wie viel die Bevölkerung die Bevölkerung in Deutschland vor 1945 vom Holocaust wusste. Die quantitative Untersuchung, die auf retrospektiven Meinungsumfragen basiert, ergab, dass offenbar ein gutes Drittel der deutschen Bevölkerung vor Kriegsende über den Massenmord an den Juden informiert war, d.h. nicht weniger als 25 Millionen Deutsche haben nach eigener Angabe vom Holocaust vor 1945 erfahren. Diese bemerkenswerte Zahl macht deutlich, dass die Deportation und anschließende Vernichtung der Juden keineswegs unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Geheimen geschah.

Die im Rahmen einer Ausstellung des Würzburger Staatsarchivs und des Instituts für Zeitgeschichte gezeigten Fotographien zur Deportation der mainfränkischen Juden belegen dies nachdrücklich. Dabei handelt es sich um 139 von einem Beamten der Gestapo Würzburg angefertigte Bilder, von denen 119 in einem Album überliefert sind. Bei dem Fotoalbum der Deportation mainfränkischer Juden 1941/42 handelt es sich um ein einzigartiges historisches Dokument, ist es doch offensichtlich die umfangreichste Sammlung von Fotos von Deportationen aus Deutschland.

Die im Ausstellungskatalog reproduzierten Fotographien bilden daher auch den Hauptbestandteil der Publikation. Neben diesen Bildern umfasst die Veröffentlichung zahlreiche weitere Fotos aus verschiedenen Beständen sowie Abbildungen von Dokumenten, die im weiteren Sinne mit der Thematik und der Region verknüpft sind. Insgesamt enthält der Katalog fünf wissenschaftliche Beiträge, wovon zwei von Herbert Schott stammen. In einem ersten Aufsatz schildert und analysiert er die ersten drei Deportationen mainfränkischer Juden. Der zweite Beitrag beschäftigt sich mit der Entstehungsgeschichte des Fotoalbums und seinem nachfolgenden Schicksal. In den weiteren Aufsätzen beschreibt Alexander M. Klotz die Situation der Juden in Unterfranken nach dem Ersten Weltkrieg bis zu den 1941 einsetzenden Deportationen, schildert Dieter Pohl den Prozess der Deportation von Juden aus dem Deutschen Reich zwischen 1941 und 1943; Edith Raim schließlich setzt sich mit der juristischen Aufarbeitung nach 1945 in Unter- und Mittelfranken auseinander. Die Beiträge von Klotz, Pohl und Raim werden jeweils von einer kurzen kommentierten Auswahlbibliographie abgerundet.

Der mit Abstand herausragende Beitrag ist der von Herbert Schott über das Fotoalbum. Schott rekonstruierte die abenteuerliche Geschichte der  Fotos.  1941 beauftragte zunächst die Würzburger Gestapo zwei Kriminaloberassistenten mit Aufnahmen für die erste Deportation am 26. Nov. 1941. Das Fotografieren durch andere, auch durch NSDAP-Mitglieder, wurde streng verboten, gegebenenfalls sollten Fotoapparate beschlagnahmt werden. Auch bei den Deportationen im März und April 1942 entstanden Fotos. Fotografiert wurden die Deportationen in Kitzingen, Würzburg und Bad Neustadt a. d. Saale. Es handelt sich um die ersten drei von sieben Transporten, die im Zeitraum zwischen November 1941 und Frühjahr 1943 in Unterfranken, bzw. im „Gau Mainfranken“ stattfanden.

Nach Kriegsende wurden die Akten der Würzburger Gestapo über die Judendeportationen  und das zugehörige Fotoalbum offenbar nach der Besetzung Unterfrankens durch die Amerikaner beschlagnahmt und in ein Aktenlager nach Oberursel/Taunus verbracht. Im Würzburger Deportationsprozess 1949 wurden die Fotos als Beweismittel verwandt. Die Akten und vermutlich die Fotos wurden auch bei weiteren Prozessen herangezogen. Als jedoch die Akten der Gestapo Würzburg über die Judendeportation 1985 an das Staatsarchiv Würzburg übergeben wurden, befand sich das zughörige Fotoalbum nicht darunter. Alle Nachforschungen des Staatsarchivs blieben ergebnislos. 2001 wurden die Fotos in einer Akte bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth wieder aufgefunden. Offensichtlich war das Album als Beweismittel eingesetzt und nicht zurückgegeben worden. Das im Staatsarchiv Würzburg verwahrte Album umfasst heute 119 durchnummerierte auf 24 Aktendeckel aufgeklebte Fotos. Ursprünglich enthielt es 19 weitere auf vier Aktendeckel angebrachte Fotos, die heute in den USA verwahrt werden.

Einem Foto wird in der Regel mehr Beweiskraft eingeräumt als dem gesprochenen oder geschriebenen Wort, weil der Betrachter „mit eigenen Augen“ das zu sehen glaubt, was an anderen Orten oder auch zu anderen Zeiten geschehen ist. Die Bilder im Würzburger Album wurden von Tätern gemacht. Dies darf bei der Betrachtung der Bilder nicht vergessen werden. Die Fotos schildern eine Wirklichkeit aus der Sicht der Täter – dessen muss man sich bei der Betrachtung bewusst sein. Als Motive sieht man die entwürdigende  Registrierung und Durchsuchung der Deportierten, Außenaufnahmen von Würzburg und Kitzingen, Bilder vom Marsch durch die Stadt und Aufnahmen vom Besteigen des Zugs und Verladen des Gepäcks. Der Terror fand, daran lassen diese Fotos keinen Zweifel, zum größten Teil in aller Öffentlichkeit statt.

Im Beitrag von Alexander M. Klotz liegt der Akzent eindeutig in der Beschreibung der Ausgrenzung- und Verfolgungsgeschichte. Wenig erfährt man über die Situation der jüdischen Bevölkerung im eigentlichen Sinne, obwohl die Ãœberschrift des Aufsatzes dies zunächst suggeriert. Selbst der Abschnitt „Jüdisches Leben in Unterfranken“ widmet sich mehr den politischen Verhältnisse, beispielsweise der Betrachtung von Wahlergebnissen in Bayern und insbesondere in Franken. Es hätte sich mit Sicherheit gelohnt einige Worte mehr zum ländlichen und kleinstädtischen Judentum zu verlieren. Doch scheint der Autor nur bedingt auf der Höhe des Literatur- und Forschungsstandes gewesen zu sein.

Edith Raim schildert die juristische Verfahren nach 1945, die in den Bereich der deutschen Staatsanwaltschaft fielen und skizziert die Prozesse in Würzburg und Nürnberg. Im Ergebnis blieb der Ausgang der strafrechtlichen Verfahren unbefriedigend. In Nürnberg wurden lediglich zwei von 55 Beschuldigten am Ende verurteilt. Der darunter befindliche ehemalige Nürnberger Polizeipräsident und Höhere SS-und Polizeiführer erreichte 1953 in der Revision die Aufhebung seines Urteils und einen Freispruch. Auszüge aus den perfiden Verteidigungen der Angeklagten sind im Text nachlesbar. Die Reaktionen in der Öffentlichkeit offenbaren in einem erschreckenden Maße Kontinuitäten nationalsozialistischen Gedankengutes.

In seinem fundierten Beitrag betont Dieter Pohl, dass sich die Rahmenbedingungen der Judenverfolgung durch den Kriegsbeginn fundamental geändert hätten und skizziert im Weiteren Verlauf und Ziele der Transporte in den Jahren 1941 bis 1943. Dabei er hebt die Rolle der regionalen Polizei bei der Durchführung hervor. Auch er verweist darauf, dass die Deportationen nicht unbemerkt geblieben waren, wie nach dem Krieg oft behauptet wurde.

Insgesamt ist mit diesem Begleitband den Ausstellungsmachern eine bemerkenswerte Publikation gelungen, die weit über das durchschnittliche Niveau von Ausstellungskatalogen herausragt.

Martin Liepach
Frankfurt

Zuerst erschienen in: Mainfränkisches Jahrbuch, 57, 2005, S. 465-466
 

Hinweis: Zum Thema siehe auch auf hagalil mit einigen Fotos.

 

 

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