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Chanukka-LeuchterChanukka-Leuchter Frankfurt a.M. 1680 - Jüdisches Museum Frankfurt

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AG Deutsch-Jüdische Geschichte

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Verband der Geschichtslehrerinnen und -lehrer


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hlands (VGD)

Mittelalter 1: Die Kirche und das Judentum

Auf dieser Seite:

1. Bischöfliches Privileg für die Juden in Speyer (1084)
Text und Kommentar / Texteditionen und Faksimilé der Handschrift auf der Seite Speyer 1084.
2. Aus den Beschlüssen des IV. Lateranischen Konzils - (nicht nur) die Juden betreffend (1215)
Text und Kommentar (direkt dorthin)
3 a,b. Thomas von Aquin und Bernhard von Clairvaux über den Wucher bei Juden und Christen (1270-71 und 1146)
Texte und Kommentare (direkt dorthin)

4. Weitere Quellen (driekt dorthin)

Note bene: Das Thema Ghetto wird seiner historischen Einordnung entsprechend auf der Seite Frühe Neuzeit behandelt.

Auf einer angeschlossenen Seite:

Ecclesia und Synagoga
Christentum und Judentum in der Darstellung an und in Kirchen

 

 

BAMBERG_Portal

Fürstenportal des Doms von Bamberg, links und rechts die Statuen von Ecclesia und Synagoga. Wikimedia Commons. Die Originalstatuen befinden sich aus Konservierungsgründen im Innteren des Doms und wurden an ihrem ursprünglichen Platz durch Replikate ersetzt. Weitere Informationen und ein viruteller Domrundgang auf der Seite des Bistums Bamberg: hier.

Ausführlicher zum Thema Ecclesia und Synagoga siehe unsere Spezialseite Ecclesia/Synagoga mit weiteren Beispielen sowie mit dem Kirchenfenster von Chartres auf  Historia Interculturalis: hier

Schriftliche Quellen:

1. Bischof Rüdiger von Speyer gibt den Speyerer Juden ein Privileg.

Speyer, 13. September 1084.

. . . Ich,   Rüdiger, auch   Huozmann genannt, Bischof von Speyer. Als ich den Weiler Speyer in eine Stadt verwandelte, glaubte ich die Ehre unseres Ortes noch zu vergrößern, wenn ich die Juden vereinigte. Ich brachte sie darauf außerhalb der Gemeinschaft und des Zusammenwohnens mit den übrigen Bürgern, und damit sie durch den Ãœbermut des Pöbels nicht beunruhigt würden [siehe hierzu Anmerkung unten], umgab ich sie mit einer Mauer. Ihren Wohnplatz habe ich auf gerechte Weise angeschafft, den Hügel nämlich zuerst teils durch Geld, teils durch Tausch, das Tal erhielt ich von (einigen) Erben als Geschenk. Jenen Ort, sage ich, übergab ich ihnen unter der Bedingung, daß sie jährlich drei und ein halbes Pfund Speyerschen Geldes zum gemeinsamen Verbrauch der  Klosterbrüder  zahlen.   Innerhalb ihres Wohnplatzes und außerhalb bis zum Schiffshafen und in dem Schiffshafen selbst gab ich ihnen das Recht, Gold und Silber frei zu wechseln und alles Beliebige zu kaufen und zu verkaufen, und eben dieselbe Freiheit gab ich ihnen durch die ganze Stadt. Außerdem gab ich ihnen vom Besitztum der Kirche einen Begräbnisplatz mit erblichem Rechte. Auch gestattete ich, daß ein fremder Jude, der sich bei ihnen vorübergehend aufhalten wird, keinen Zoll zu zahlen habe; sodann daß, wie der Stadtvogt unter den Bürgern, ihr Erzsynagog [Archisynagogus = Synagogenvorsteher] Klagen, die zwischen oder gegen Juden erhoben werden, zu entscheiden habe. Ist dieser aber den Streit beizulegen nicht imstande, so soll die Sache vor den Bischof oder seinen Kämmerer gebracht werden. Nächtliche Wachen, Verteidigungen, Befestigungen haben sie bloß innerhalb ihres Gebietes zu verrichten, die Verteidigungen aber gemeinsam mit den Sklaven; Ammen und Knechte auf Miete können sie von den Unsrigen haben, geschlachtetes Vieh können sie, wenn es ihnen nach ihrem Gesetze zu essen nicht erlaubt ist, an Christen verkaufen, und den Christen ist es zu kaufen erlaubt. Endlich als Gipfel meines Wohlwollens habe ich ihnen Gesetze verliehen, die besser sind, als sie das jüdische Volk in irgendeiner Stadt des deutschen Reiches besitzt.
Damit diese Vergünstigung und Verleihung keiner meiner Nachfolger verringern oder sie zu größerer Abgabe zwingen möchte, als ob sie diesen Zustand sich widerrechtlich zugeeignet und nicht von einem Bischof empfangen hätten, habe ich diese Urkunde über obige Vergünstigung ihnen als sicheres Zeugnis hinterlassen. Und damit das Andenken dieser Sache durch die zeitlichen Jahrhunderte bleibe, habe ich sie durch eigene Handesunterschrift bestätigt und durch die Druntersetzung meines Siegels, wie unten zu sehen ist, bezeichnen lassen . . .

Julius Höxter (Hg.): Quellenbuch zur jüdischen Geschichte und Literatur, III. Teil: Deutschland, Frankreich und Italien im Mittelalter, Frankfurt a.M. (Kauffmann) 1927, S. 8. Vgl. auch in leicht überarbeiteter Übersetzung in: Julius H. Schoeps / Hiltrud Wallenborn (Hg.): Juden in Europa. Ihre Geschichte in Quellen, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum späten Mittelalter, Darmstadt (WBG) 2001, S.8f.

Anmerkung / Textvariante des Beginns:

Ich, Rüdiger, mit Beinamen Huozmann, Bischof von Speyer, glaubte in meinem Bestreben, aus der Kleinstadt Speyer eine Weltstadt zu machen, die Ehre unseres Ortes durch Ansiedlung von Juden noch mehr zu heben. Die herbeigeholten Juden siedelte ich deshalb außerhalb der Gemeinschaft und den Wohnplätzen der übrigen Bürger an und umgab ihre Siedlung mit einer Mauer, damit sie nicht durch Viehherden [pecoris] gestört werden. [...]

Karl Heinz Debus, „Geschichte der Juden in Speyer bis zum Beginn der Neuzeit“, in: Historischer Verein der Pfalz, Bezirksgruppe Speyer: Die Juden von Speyer, Beiträge zur Speyerer Stadtgeschichte Nr.9, Speyer, 3. Aufl. 2004, S.4.

Kommentar:

Die Quelle unterliegt der Problematik einer schwierigen Lesart der Handschrift mit zwei unterschiedlichen Interpretationen an einer wichtigen Stelle. Die nach einem Streit unter Experten seit den 1920er Jahren privilegierte Version, die sich bis vor kurzem faktisch in allen entsprechenden Sammlungen und Darstellungen fand, ist die hier in der Sammlung von Höxter wiedergegebene. Karl-Heinz Debus hat die ursprüngliche Version wieder „ausgegraben“, eine neue dritte Ãœbersetzung in der sprachlich ziemlich textnahen Version bei Bernd-Ulrich Hergemöller (siehe: hier) folgt ebenfalls dieser Lesart der Handschrift.

Der Unterschied liegt in der Entzifferung der lateinischen Handschrift “peioris” (des Pöbels) oder “pecoris” (des Viehs). Die lange Zeit privilegierte Lesart “peioris” bedient die Vorstellung von der zeitlosen Verfolgung der Juden und greift dem Kreuzzugs- pogrom vor, das nur zwölf Jahre später tatsächlich stattfand und von dem gerade die Speyerer Juden durch den Schutz des Bischofs nahezu verschont blieben. Außerdem scheint die Aufnahme der Juden in Speyer Flüchtlingen aus Mainz gegolten zu haben, die Mainz nach einem Brand verlassen haben, der von dem jüdischen Viertel ausgegangen war. Dabei handelte es sich jedoch um kein Pogrom, wie auch die jüdische Ãœberlieferung betont (siehe die Dokumentation in Debus, op. cit.). Nicht selten wird trotzdem in der populärwissenschaftlichen Darstellung entsprechend Speyer als das erste Ghetto interpretiert, wobei Schutz und Ausgrenzung in der Erklärung abwechseln oder ineinander greifen.

Die Problematik der Überlieferung und der Lesart der Handschrift behandeln wir auf einer angeschlossenen Seite, auf der wir auch ein Faksimile der ältesten überlieferten Handschrift zeigen, das uns das Landesarchiv Baden-Württemberg / General-- staatsarchiv Karlsruhe freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat: Speyer 1084

Zur weiteren Orientierung vgl.:
Christoph Cluse (Hg.):
Europas Juden im Mittelalter. Beiträge des internationalen Symposiums in Speyer vom 20. bis 25. Oktober 2002, Trier (Kliomedia) 2004.
Historisches Museum der Pfalz, Speyer (Hg.): Europas Juden im Mittelalter. Ausstellungskatalog, Speyer (Hatje Cantz) 2004.
Historia-iudaica
alemannia-judaica

Eine zusammenfassende Darstellung der jüdischen Ansiedlung am Rhein gibt es auf Historia Interculturalis: hier

W. Geiger, Dez. 2009 / überarbeitet Okt. 2012

2. Aus den Beschlüssen des IV. Laterankonzils, 1215

Je mehr die Christenheit im Zinsnehmen beschränkt wird, desto stärker wächst die Treulosigkeit der Juden ihnen über den Kopf, so daß in kurzer Zeit das Vermögen der Christen erschöpft wird. Wir wollen also in diesem Stück für die Christen sorgen, damit sie nicht maßlos durch die Juden beschwert werden. Wir bestimmen demnach durch Synodaldekret, daß, wenn unter irgendeinem Vorwand die Juden von Christen unmäßige Zinsen erpressen, ihnen der Verkehr mit den Christen entzogen werde, bis sie ihnen wegen der unmäßigen Belastung eine angemessene Genugtuung gegeben haben. Auch die Christen sollen, wenn nötig, durch Kirchenstrafen, zunächst unter Ausschluß des Berufungsweges, angehalten werden, sich des Handels mit ihnen zu enthalten. Den Fürsten aber legen wir auf, daß sie deswegen den Christen nicht feind sein sollen, sondern sich vielmehr bemühen, die Juden von solcher Beschwerung der Christen abzuhalten. Mit derselben Strafe haben wir beschlossen, die Juden anzuhalten, daß sie den Kirchen Genugtuung bezüglich der schuldigen Zehnten und Opferpfennige geben, welche die Kirchen von den Christen für Häuser und andere Besitztümer zu bekommen pflegten, bevor letztere an die Juden unter irgendeinem Rechtstitel gekommen sind, damit auf diese Weise die Kirchen schadlos gehalten werden.

In einigen Provinzen unterscheidet Juden oder Sarazenen von den Christen die Kleidung, aber in anderen ist eine solche Regellosigkeit eingerissen, daß sie durch keine Unterscheidung kenntlich sind. Es kommt daher manchmal vor, daß irrtümlich Christen mit jüdischen oder sarazenischen und Juden oder Sarazenen mit christlichen Frauen sich vermischen. Damit also den Ausschweifungen einer so abscheulichen Vermischung in Zukunft die Ausflucht des Irrtums abgeschnitten werde, bestimmen wir, daß Juden und Sarazenen beiderlei Geschlechts in jedem christlichen Land und zu jeder Zeit durch ihre Kleidung öffentlich sich von den anderen Leuten unterscheiden sollen, zumal da man schon bei Moses liest, daß ihnen eben dies auferlegt ist. An den letzten drei Tagen vor Ostern aber und am ersten Passionssonntag (Judica), sollen sie sich überhaupt nicht öffentlich zeigen und zwar deswegen, weil einige von ihnen, wie wir gehört haben, sich nicht scheuen, an solchen Tagen erst recht geschmückt einherzugehen und die Christen, welche zum Gedächtnis der allerheiligsten Passion die Zeichen der Trauer anlegen, zu verspotten. Dies aber verbieten wir aufs strengste, damit sie sich nicht herausnehmen, zur Schmach des Erlösers ihre Freude zu zeigen. Und da wir die Beschimpfung dessen, der unsere Schuld getilgt hat, nicht verleugnen dürfen, so befehlen wir, daß derartige Frevler durch die weltlichen Fürsten, durch Auflegung einer angemessenen Strafe, gedämpft werden, damit sie nicht wagen, den für uns Gekreuzigten zu lästern.

Da es allzu sinnlos wäre, daß ein Lästerer Christi über Christen Gewalt habe, so erneuern wir das, was hierüber das Konzil von Toledo weise verfügt hat, unsererseits wegen des Frevelmutes der Übertreter dieses Gebotes in dieser Sitzung. Wir verbieten hiermit, daß Juden zu öffentlichen Ämtern zugelassen werden, weil sie unter dem Vorwand des Amtes den Christen am meisten aufsässig sind. Wenn aber jemand ihnen ein solches Amt übertragen hat, so soll er durch das Provinzialkonzil, dessen jährliche Abhaltung wir befehlen, nach vorgängiger Ermahnung mit der gebührenden Strafe belegt werden. Einem derartigen jüdischen Beamten aber soll so lange der Handelsverkehr und jeder andere Verkehr mit Christen verweigert werden, bis, unter sorgsamer Kontrolle des Diözesanbischofs zum Nutzen armer Christen, alles dasjenige verwendet ist, was er von Christen gelegentlich dieses so übernommenen Amtes erhalten hat. Das Amt selbst aber, das er respektloserweise angenommen hat, soll er mit Schanden wieder aufgeben. Dasselbe Gebot dehnen wir auf die Heiden aus.

Einige (Juden), welche freiwillig zur heiligen Taufe gekommen sind, ziehen, wie wir erfahren, keineswegs den alten Menschen aus, um den neuen anzuziehen. Sie bewahren Reste ihres früheren Religionsbrauches und verunreinigen die Herrlichkeit der christlichen Religion durch solche Vermischung. Da aber geschrieben steht (Sirach 2, 14): „Verflucht der Mensch, der auf zwei Wegen in das Land hineingeht", und da man ein Kleid nicht anziehen darf, das aus Leinen und Wolle gewebt ist (3. Mose 19, 19; 5. Mose 22, 11), so bestimmen wir, daß solche Leute durch die Prälaten der Kirche von der Beobachtung ihres alten Religionsbrauches auf alle Weise abgehalten werden. Denn diejenigen, die sich aus freiem Willen der christlichen Religion dargeboten haben, soll ein heilsamer Zwang auch zu ihrer Beobachtung anhalten, da es ein geringeres Übel ist, den Weg des Herrn nicht zu erkennen, als von dem Erkannten wieder abzugehen.

Wenn aber jemand nach dem Heiligen Land geht und eidlich gezwungen ist, Zinsen zu geben, so befehlen wir, daß die Gläubiger solcher Leute bei Vermeidung kirchlicher Strafe angehalten werden sollen, sie des geleisteten Eides zu entbinden und von der Eintreibung der Zinsen Abstand zu nehmen. Wenn aber einer der Gläubiger sie trotzdem zur Bezahlung von Zinsen gezwungen hat, so befehlen wir, ihn mit der gleichen Strafe zur Zurückerstattung derselben zu zwingen. Was aber die Juden betrifft, so befehlen wir, sie durch die weltliche Macht zum Erlassen der Zinsen anzuhalten. Bis zur erfolgten Rückzahlung hat aller Verkehr von Christen mit ihnen bei Strafe des Bannes zu unterbleiben.

Julius Höxter (Hg.): Quellenbuch zur jüdischen Geschichte und Literatur, III. Teil: Deutschland, Frankreich und Italien im Mittelalter, Frankfurt a.M. (Kauffmann) 1927, S.15-17. Vgl. auch in: Julius H. Schoeps / Hiltrud Wallenborn (Hg.): Juden in Europa. Ihre Geschichte in Quellen, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum späten Mittelalter, Darmstadt (WBG) 2001, S.115-117.

Kommentar:

Entgegen der immer wieder zu lesenden Meinung spricht dieser Text kein generelles absolutes Zinsverbot für Christen aus, selbst zum Höhepunkt des kirchlichen Kampfes gegen den Wucher, den Lateran IV repräsentiert, spricht das Konzil nur von “Beschrän- kung”. Es wird lediglich ein striktes Verbot von Zinsen für Kredite für eine (Pilger-)Fahrt ins Heilige Land ausgesprochen und dadurch nolens volens die gängige Praxis offenbart. Abgesehen von diesem Sonderfall sollen auch den Juden nur “unmäßige” Zinsen verboten werden, die dafür vorgesehenen Strafen gehen nicht über eine Art Boykott der Juden hinaus. Dann wird noch festgehalten (Ende des 1. Abschnitts), dass Juden den Kirchenzehnten weiterzahlen sollen, wenn sie Häuser von Christen kaufen, so dass die Kirche dadurch keinen Schaden erleidet. Diese sehr aufschlussreiche Passage macht deutlich, dass zu jener Zeit solche Transaktionen offenbar noch üblich waren, was ein vergleichsweise enges Zusammenleben zwischen Christen und Juden in den Städten verdeutlicht.

Die andere immer wieder falsch zitierte Vorschrift aus dem Konzilsbeschlüssen betrifft die Kleiderordnung. So heißt es typisch auf Wikipedia (10.12.2009): “Juden und Muslime wurden zum Tragen einer sie von den Christen unterscheidenden Tracht (Judenhut, Gelber Fleck) gezwungen.” (Wikipedia Viertes Laterankonzil). Abgesehen von der schludrigen Formulierung des Satzes -Judenhut und Gelber Fleck betreffen nicht die Muslime - werden hier spätere bzw. nicht existierende Kleidervorschriften hineinprojiziert: Der Konzilstext spricht weder vom Gelben Fleck noch vom Judenhut. Vielmehr geht es nur generell um Unterscheidung an der Kleidung, der Hinweis auf Moses macht trotz seines Anachronismus deutlich, dass die Kleidung seit jeher Menschen unter- schiedlicher Herkunft identifizierbar gemacht hat. Der Hintergrund dieses Beschlusses war die aus der Sicht des Papstes zu große Annäherung zwischen den Vertretern der drei Religionsgemeinschaften im Heiligen Land, also in den Kreuzfahrerstaaten, sowie in Spanien, evtl. auch noch im staufischen Sizilien. An eine besondere Stigmatisierung an der Kleidung in Mitteleuropa war hier wohl gar nicht gedacht und deswegen geschah nach dem Konzil auch gar nichts in dieser Richtung.

Der Gelbe Fleck als solcher wurde erst im ausgehenden Mittelalter zur Pflicht, in Frankfurt am Main zusammen mit der Errichtung der Judengasse, des ersten Ghettos, 1462. Der Judenhut, wie er in seiner stilisierten Form als eine Art umgekehrter Trichter bekannt ist,  entsprach als solcher keiner Kleidungsvorschrift, sondern entstand lediglich als ikonographisches Zeichen auf bildlichen Darstellungen zur Identifizierung von Juden.

W. Geiger, Dez. 2009

Zur Thematik des Geldverleihs siehe ausführlich auf der Seite Mittelalter 2. “Christen, Juden und das Geld”

3. Thomas von Aquin und Bernhard von Clairvaux über Wucher bei Christen und Juden

a) Thomas von Aquin, 1270/71

In seinem Traktat De regimine Judaeorum (verfasst 1270-71) , einem Antwortschreiben an die Herzogin von Brabant, deswegen auch Ad Ducissam Brabantiae  betitelt, greift Thomas von Aquin (ca. 1225 - 1274) die Bestimmungen des IV. Lateranischen Konzils auf und verurteilt den Wucher; auf die Frage, inwiefern sich die Fürsten dabei mitschuldig machten, wenn sie Schutzgelder von Juden aus deren Wucher erhielten oder Wucher überhaupt zuließen, antwortet er:

(1.) Was die Juden durch Wucher von anderen erpreßt haben, dürfen sie erlaubterweise nicht behalten, und folglich könnt auch Ihr das, das Ihr von ihnen empfanget, erlaubterweise nicht behalten, es sei denn, es sei Euch oder Euren Vorgängern von ihnen erpreßt worden. [...]

(2) [...] Die Fürsten wären durch eigene Schuld betrogen, gleichsam als erlaubten sie ihren Untergebenen, zu ihrem eigenen Vorteil aus Raub oder Diebstahl Gewinn zu ziehen. [...]

(4.) [...] Was aber von den Juden gesagt wird, das gilt auch für die Kahorsen und alle anderen, die sich der Verkehrtheit des Wuchers verschreiben.

Dt. Text nach: Willibald Paul Eckert. Kap. 3 Hoch- und Spätmittelalter, in: Karl Heinrich Rengstorf / Siegried von Kortzfleisch (Hg.): Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden. Darstellung mit Quellen, Bd.1, Stuttgart (Klett) 1968, München (dtv) 1988, 224.

Der gesamte Traktat findet sich in englischer Ãœbersetzung online auf www.thomistica.net, siehe: hier.

 

b) Bernhard von Clairvaux, 1146

In einem “Brief an den Klerus und das Volk Ostfrankens” (EPISTOLA CCCLXIII. AD ORIENTALIS FRANCIAE CLERUM ET POPULUM), in dem sich Bernhard von Clairvaux (1090-1153) gegen antijüdische Gewalttaten anlässlich der Vorbereitungen zum 2. Kreuzzug aussprach, schrieb er zum Thema Juden und Wucher,

dass dort, wo es sie nicht gibt [gemeint sind die Juden], wir christliche Geldverleiher erdulden, die schlimmer sind als die Juden [wörtlich: “schlimmer judaisieren”] [...]

quod sicubi desunt, pejus Judaizare dolemus Christianos feneratores […]

S. Bernardi Claraevallensis Opera omnia, Epistolae CCCI - CD, Epistola CCCLXIII, online auf Documenta Catholica Omnia, siehe: hier

 

Kommentar zu Thomas von Aquin:

Der Verweis auf die Kahorsen (lat. Cauvercini, aus dem lateinischen Namen für die südfranzösische Stadt Cahors, andere deutsche Bezeichnungen: Kawerschen u.a.) “und alle anderen...” macht deutlich, wie die Ungleichgewichtigkeit des Wucherdiskurses die Realität verzerrt, die dann jedoch an der einen oder anderen Stelle hindurchscheint. In diesem einen Satz macht Thomas von Aquin deutlich, dass es, ebenso wie es das Konzil von 1215 einräumte, auch christliche Wucherer gab. Zusammen mit den Lombarden (Italienern aus Norditalien, deswegen unter diesem Begriff zusammengefasst), hatten sich Kaufleute aus der Stadt Cahors im südlichen Zentralmassiv Frankreichs in jener Zeit auf Bankgeschälfte spezialisisert und reisten damit durch Mitteleuropa.

Kommentar zu Bernhard von Clairvaux:

Schon 130 Jahre vor Thomas machte Bernhard in diesem berühmten Zitat deutlich, dass es neben den jüdischen auch christliche Geldverleiher (feneratores) und somit Wucherer aus kirchlicher Sicht gab. Seine Wortschöpfung “judaizare” ist in die Geschichte des Antijudaismus eingegangen, man sah darin allerdings meist nur eben den pejorativen Ausdruck gegenüber den Juden. Bernhard war jedoch kein fanatischer Gegner der Juden wie andere zu der Zeit, gegen die er im Vorfeld des 2. Kreuzzuges, als es bereits Anzeichen für antijüdische Ausschreitungen im Rheinland durch den Mönch Radulf gab, erfolgreich einschritt.

Das Interessante an diesem Zitat ist doch die Tatsache, dass Bernhard von christlichen Wucherern spricht, die es nicht nur den jüdischen gleichtun, sondern sogar noch schlimmer sind (“pejus judaizare”). Die einleitende Bemerkung “Wo es sie nicht gibt...”, gemeint sind die Juden, deutet auf die Praxis in diesem Geschäft hin, wonach sich die miteinander konkurrierenden Geldverleiher durch Privilegien von den Fürsten und Städten jeweils ein Betätigungsfeld unter Ausschluss der Konkurrenz für sich sichern konnten. So bekamen z.B. die Kölner Juden 1266, als sie nach einem vorausgegangenen Konflikt wieder mit allen Rechten in der Stadt aufgenommen wurden, offenbar ein solches Privileg für Köln, da explizit “Cauvercini oder Christen, die offen auf Wucher leihen” nicht in der Stadt wohnen durften. Mit den Cauvercini tauchen hier auch wieder die Leute aus Cahors auf.

Zu Bernhard von Clairvaux’ Haltung zu den Juden vgl. u.a.
Jean Leclerq: Bernhard von Clairvaux. Ein Mönch prägt seine Zeit. München u.a.o. (Verlag Neue Stadt) 2005, S.95ff.

Zur Kölner Quelle siehe in der von uns herausgegebenen Sammlung:
Rolf Ballof u.a.: Deutsch-jüdische Geschichte. Quellen zur Geschichte und Politik, herausgegeben vom Arbeitskreis des Verbandes der Geschichts- lehrer Deutschlands „Deutsch-jüdische Geschichte im Unterricht“, Stuttgart/Leipzig (Klett), 2007, S.28.

Judaizare:
In der Antike wurde das lateinische Verb aus dem Griechischen übernommen, wo es noch im biblischen Kontext einen neutralen oder sogar positiven Aspekt hatte im Sinne von “die jüdische Tradition wahren”. Das lateinische Adverb judaice war meinte auch “nach jüdischer Art” oder “den jüdischen Regeln konform” im wertneutralen Sinne. Das Verb  bekam dann aber in der christlich-theologischen Perspektive auch eine abgrenzende, ablehnende Bedeutung, bis dahin, dass der Vorwurf des “Judaisierens” an die Christen alles mögliche Negative beinhalten konnte, das den Juden als Urhebern zugeschrieben wurde, auch wenn die Stoßrichtung der Kritik gegen Christen ging, die es, wie in diesem Falle, “noch schlimmer” trieben.

Cf. u.a. David Nirenberg: Anti-Judaims. The History of a Way of Thinking. New York (Norton & Co.) 2013, S. 489 u.a.

4. Weitere Quellen

18.11.1244.

Otto, Pfalzgraf bei Rhein und Herzog von Bayern, Erzbischof Eberhard von Salzburg und die Bischöfe Rüdiger von Passau, Siegfried von Regensburg, Konrad von Freising, Friedrich von Eichstedt und Heinrich von Bamberg schließen, zugleich mit allen Grafen und Edlen, einen Landfrieden auf drei Jahre vom Feste des heiligen Jakobus (25. Juli) an, worin auch bestimmt wird, dass kein Christ ohne Bruch des Friedens Zinsen nehmen soll, außer von Juden.

Julius Aronius, Regesten zur Geschichte der Juden im Fränkischen und Deutschen Reiche bis zum Jahre 1273. Berlin (Simion), 1902, Nachdr. Hildesheim (Olms), 1970, N°549, S.237.

Kommentar:

Es handelt sich hier um einen der Versuche mit den Landfriedensordnungen das, was wir heute Öffentliche Ordnung nennen, zu etablieren bzw. zu festigen. Darin integriert wurde auch die Umsetzung eines Zinsverbots in weltliches Recht. Aus dem Passus wird zugleich deutlich, dass das kanonische Recht bis dahin keine Wirkung auf die weltliche Ordnung hatte, denn der Verstoß dagegen wird nur als Verstoß gegen diesen Landfrieden klassifiziert. In der gesellschaftlichen Wirklichkeit hatte aber auch das wenig zu bedeuten, da alle Landfrieden dieser Art und der Königsfrieden als deren Summum nur wenig reale Wirkung zeitigten, weitaus mächtiger blieben die jeweiligen städtischen gesetzlichen Ordnungen.

Zur Realität des Geldverleihs gegen Zinsen siehe auch: Mittelalter 2.

29.6.1255.

Die zu Mainz versammelten Abgesandten des rheinischen Bundes beschließen, dass bei Strafe von 10 Mark kölnisch kein Jude mehr als zwei Denare wöchentlich vom Pfunde nehmen darf, und zwar in gleicher Weise von kölnischer, hallescher und Straßburger Münze. Wenn aber der Vertrag mit ihm auf ein Jahr lautet, soll der Jude vier Unzen vom Pfunde erhalten. Diese Bestimmung sei notwendig geworden, da die christlichen Geldverleiher exkommuniziert und durch Richterspruch zur Herausgabe der Zinsen gezwungen würden.

Aronius, op. cit., N°618, S.260.

Kommentar:

Eine der wenigen Quellen, die vom Versuch der konkreten Umsetzung eines Zinsverbots für Christen berichten. Die Formulierung hinsichtlich der christlichen Geldverleiher “... gezwungen würden” in der indirekten Rede der Zusammenfassung bzw. “ ... werden” im lateinischen Original lässt vermuten, dass es sicjh dabei um keine vollzogenen Strafen sondern um deren Androhung handelt, also um die abschreckende Wirkung.

Aronius berechnet in seinen Anmerkungen den Zinssatz beim wöchentlichen Darlehen auf 43,5%, beim jährlichen auf 33,5%, gemeint ist damit aber ein auf das Jahr umgerechneter Zinssatz. Nach der Teilung des Pfundes in 240 Denare oder Pfennige, was seit dem 12, Jh. nur noch eine Rechnungsgröße war, da durch die Münzverschlechterung im realen Geldvekehr mehr für ein Pfund gegeben werden musste *, stellen die 2 Denare Zins 1/120 als Wochenzins dar. Solche kurzfristigen Darlehen waren damals üblich und der Zinssatz keineswegs ungewöhnlich. Bei längerfristigen Krediten fiel der Zinssatz.

Der Zinssatz von 2 Denaren pro Pfund findet sich auch in anderen Quellen wieder.

* vgl. Wolfgang Trapp: Kleines Handbuch der Münzkunde und des Geldwesens in Deutschland. Stuttgart (Reclam) 1999, S.65

 

W. Geiger, April 2010/Januar 2019

Zum Thema Geldverleih siehe auch unsere Seiten zum Historikertag 2006, zur Tagung von Halberstadt 2007 und die Seite Mittelalter 2 sowie allgemeiner zur Entwicklung der Geldwirtschaft und zur Zinsproblematik auf Historia Universalis (> Mittelalter 2)

Siehe auch:
Wolfgang Geiger: Christen, Juden und das Geld. Über die Permanenz eines Vorurteils und seine Wurzeln, in: Einsicht 04. Bulletin des Fritz Bauer Instituts, Herbst 2010, S.30-37. - Das ganze Heft ins online als pdf-Datei verfügbar: hier.

 

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