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AG Deutsch-Jüdische Geschichte

im

Verband der Geschichtslehrerinnen und -lehrer


Deutsc
hlands (VGD)

Bibliographie / Rezensionen 3

Seite 3

Hier im Anschluss:

1. Anthony D. Kauders: Unmögliche Heimat. Eine deutsch-jüdische Geschichte der Bundesrepublik. DVA München 2007.
2. Richard Mehler: Die Matrikelbestimmungen des bayerischen Judenedikts von 1813. Historischer Kontext – Inhalt – Praxis. Franconia Judaica. Herausgegeben vom Bezirk Mittelfranken durch Andrea M. Kluxen und Julia Krieger. Band 6, Ergon Verlag, Würzburg 2011. (hier)

 

Wird erweitert...

 

Anthony D. Kauders: Unmögliche Heimat. Eine deutsch-jüdische Geschichte der Bundesrepublik. DVA München 2007, 301 S.

Vorweg: Kauders hat kein Buch für Insider geschrieben. Sein Publikum sind nicht die Spezialisten für deutsch-jüdische Geschichte, wenngleich er den wissenschaftlichen Standard in jeglicher Hinsicht hält. Der Autor, in der Schweiz geboren und in Deutschland aufgewachsen, lehrt an Keele University in England. In angelsächsischer Tradition ist sein Werk an eine breite Leserschaft adressiert. Die Arbeit ruht auf einer breiten Quellenbasis. Die Jüdischen Gemeinden Bremen, Düsseldorf, Frankfurt, Dortmund und Nordrhein, die Zentralwohlfahrtstelle sowie der Zentralrat der Juden erlaubten Kauders im Zuge seiner Recherchen bisher unzugängliches Aktenmaterial ein zusehen. Aber auch aus anderen Archive förderte Kauders Interessantes zutage.

Man kann das Buch als Entwicklungsgeschichte lesen. Es beschreibt, wie der Titel verweist, die Geschichte der Juden in der Bundesrepublik bis zur Wiedervereinigung 1990. Dabei setzt die Darstellung nicht erst mit der Gründung des westdeutschen Staates ein, sondern bereits mit der Schilderung der Nachkriegsgesellschaft. Aber Kauders bietet auch eine andere Lesart an: „Man kann das Buch aber auch thematisch lesen. Schuld beschreibt, wie Deutsche und Juden nach 1945 über die Verantwortung Deutschlands für den Holocaust nachdachten. Wer etwas über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Juden erfahren will, lese das Kapitel Geld. Wer verstehen möchte, warum die Juden in der Bundesrepublik ein besonders inniges Verhältnis zu Israel pflegten, gehe zum gleichnamigen Kapitel. Wer sich für den Zentralrat der Juden und dessen Politik interessiert, der findet einige darüber im Kapitel Demokratie. Mit dem jüdischen Kulturleben befasst sich das Kapitel Gemeinde. Wer es gar nicht abwarten kann, suche im letzten Kapitel nach der möglichen Zukunft im vereinten Deutschland.“ (11)

Das Buch ist in sechs Kapitel mit pointierten Schlagworten gegliedert: Schuld, Geld, Israel, Demokratie, Gemeinde, Zukunft. Diese Ãœberschriften sind geschickt gewählt, denn sie schaffen Assoziationen zu „Vorwissen“ oder beziehen sich auch auf weit verbreitete Klischees, mit denen der Autor mitunter ironisch spielt: „Entgegen anders lautenden Gerüchten haben die Juden das Geld nicht erfunden, obwohl viele Menschen so glauben möchten. Von den vielen Bildern, die über Juden noch nach 1945 weiter lebten, ist ein Bild besonders hartnäckig in den Köpfen vieler Deutscher haften geblieben: Juden besitzen Geld, sie besitzen beträchtliche Mengen davon, und weil Geld Macht bedeutet, ist die Macht der Juden besonders groß.“ (S. 50).

Doch Kauders hat keine apologetische Schrift zur Wiederlegung bestehender Klischees geschrieben. Sein Werk bietet viel mehr: Vielschichtig und konzise werden verschiedene Aspekte zu den erwähnten Schlagworten aufgerollt, die souverän historisch kontextualisiert und durch Quellen belegt werden. So erweitert er die Perspektive beispielsweise zum Schlagwort „Geld“ nach dem zuvor eingangs zitierten provokativen Einstieg, indem er das Thema nicht nur anhand des Antisemitismus bzw. antisemitischer Vorwürfe erzählt. Kauders zeigt wie hindernisreich die wirtschaftliche Integration der Juden in Deutschland war. Die finanzielle Not der Ãœberlebenden, aber auch deren psychischen Traumata, die Verluste durch die „Arisierung“ im Dritten Reich, die Bedeutung der Wiedergutmachungsverhandlungen, die fremde und häufig abweisende Umwelt, dies sind die Koordinaten seiner Erzählung, die den Blick öffnen. Die Tatsache, dass viele Juden lange Zeit in der Bundesrepublik „auf gepackten Koffern“ saßen oder „auf dem Sprung“ waren, führt Kauders zu der These, dass Juden im Wirtschaftsleben dazu neigten Berufe zu wählen, in denen Mobilität eine hohe Rolle spielte. Folglich waren Juden eher als Immobilienhändler tätig, denn als Fabrikbesitzer. Auch die Rolle Ignatz Bubis im Frankfurter Westend-Konflikt und die darauf folgende Faßbinder-Kontroverse erörtert Kauders in diesem Kapitel. Dabei verschiebt er auch hier die Koordinaten: „Selbstverständlich gingen nichtjüdische Investoren genauso skrupellos vor. Die Frage lautet deshalb nicht, weshalb auch Juden Spekulanten waren, sondern vielmehr, warum sie sich bei ihrem Engagement in Frankfurt Anfang der 1970er Jahre so skrupellos verhielten. Und das umso mehr, als es zu den ungeschrieben Regeln jüdischer Existenz in der Bundesrepublik gehörte, gerade nicht auffallen zu wollen. Aus der eigenen Geschichte wusste man, dass Antisemiten jegliches Fehlverhalten als Vorwand benutzten, um gegen Juden als Juden zu agitieren.“ (S. 82)

So wie der exemplarisch vorgestellte Abschnitt „Geld“ enthalten auch die anderen Kapitel zahlreiche erhellende Zugriffe auf die Geschichte der Juden in der Bundesrepublik. Dabei tragen der eloquente und auch mitunter provokante Schreibstil des Autors erheblich zum Lesevergnügen bei. Wenn Geschichte zur Erklärung der Gegenwart beiträgt, dann geschieht es in diesem Buch im besten Sinne. Verwerfung und Spannungen aber auch Komplexität jüdischen Lebens in Deutschland werden dem Leser nach der Lektüre verständlicher erscheinen. Daher ist das Buch von großem Nutzen für jeden historisch-politischen interessierten Leser und jede (Schul-)Bibliothek.

Martin Liepach,  Frankfurt am Main

Zuerst erschienen in: geschichte für heute 2010, Heft 3, S. 133-134.

 

 

Richard Mehler: Die Matrikelbestimmungen des bayerischen Judenedikts von 1813. Historischer Kontext – Inhalt – Praxis. Franconia Judaica. Herausgegeben vom Bezirk Mittelfranken durch Andrea M. Kluxen und Julia Krieger. Band 6, Ergon Verlag, Würzburg 2011, 204 S.

1813 erließ die bayerische Regierung das „Edikt die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen im Königreich Baiern betreffend“, zumeist kurz als Judenedikt bezeichnet. Das im aufgeklärt-etatistischen Sinne verfügte Gesetz hatte weitreichende Konsequenzen für die jüdische Bevölkerung. Das Edikt regelte in den zentralen Punkten die Bedingungen für den Erwerb der bürgerlichen Rechte und die Wohn- und Niederlassungsfreiheit der Juden in Bayern. In diesem Zusammenhang wurden Listen („Matrikel“) angelegt. Der Genuss der bürgerlichen Rechte und Vorzüge war mit dem Eintrag in selbige Liste verbunden. Denn, nur wer eine „Matrikelstelle“ besaß, d.h. in die Matrikel eines bestimmten Ortes eingeschrieben war, durfte sich selbständig als Bauer, Handwerker oder Kaufmann betätigen, heiraten und eine Familie gründen. In der Forschungsliteratur wird das Judenedikt zumeist als Ausdruck und Symbol einer repressiven Politik gegenüber der jüdischen Bevölkerung gesehen. Kernpunkte dieser Argumentation sind die Instrumentalisierung des Gesetzes zwecks einer beabsichtigten Umstrukturierung der jüdischen Erwerbsverhältnissse und die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. „In der Gesamtschau stellen sich die Matrikelbestimmungen des Judenedikts als eine Verschärfung der allgmeinen Ansässigmachung- und Verehelichungsbeschränkungen dar.“ (S. 15)

Vorherrschende Lehrmeinung ist die, jedoch nicht empirisch gestützte, Annahme einer rigiden Matrikelpraxis. Dieser Topos hat selbst in dem verdienstvollen vierbändigen Standardwerk des Leo Baeck Insituts zur deutsch-jüdischen Geschichte Eingang gefunden und wurde von renommierten Historikern wie Monika Richarz, Michael Meyer und Steven Loewenstein vertreten. Richard Mehler legt nun die erste breit angelegte empirische Untersuchung zur Praxis des Matrikelwesens vor. Dementsprechend fällt die Gewichtung der im Untertitel des Buches angedeuteten Dreiteilung aus: Historischer Kontext und Inhalt des Edikts mit seiner rechtlichen Seite werden eher kürzer abgehandelt, der Schwerpunkt liegt eindeutig auf empirischen Analyse und rückt die Praxis in das Zentrum der Betrachtung. Dies macht auch bereits das eingangs aufgelistete Tabellenverzeichnis (17 Tabellen) deutlich. Die Bezeichung Matrikelbestimmungen umfasst das Edikt von 1813 sowie die einschlägigen Ministerial- und Regierungsentschließungen, ferner etwaige Anordnungen der unteren Verwaltungsbehörde bis zum Jahr 1861, dem Zeitpunkt der Abschaffung des Matrikelwesens.

Die Quellenlage ist nicht einfach, es gibt erhebliche Ãœberlieferungslücken. Eine Zentralüberlieferung der Matrikel-erfassung ist nicht mehr vorhanden. Im Zuge einer Registraturbereinigung wanderten im Jahr 1870 im Münchener Innenministerium 131 Zentner Altakten in die Papiermühle. In seiner Arbeit stützt sich Mehler vor allem auf Akten kommunaler Provinienz, Verehelichungsdaten sowie zeitgenössisch veröffentlichte Statistiken. Letztere werfen jedoch nicht immer ein gutes Licht auf die bayerische Verwaltung. „Zwei grundsätzliche Probleme der damaligen Statistik in Bayern sind auch hier zu finden: Fehlerhafte Kategorienbildung in den Erhebungsformularen und die mangelhafte Durchführung der Erfassung.“ (S. 55) Dementsprechend ausführlich widmet sich auch Mehler in seinen Ausführungen den methodischen Schwierigkeiten.

Der Ertrag der Studie ist überzeugend,  auch vor dem Hintergrund der damit verbundenen methodischen Herausforderungen. Dabei unterzieht Mehler seine empirischen Befunde zumeist einer eher vorsichtigen Lesart, sprich Interpretation. So untersuchte er die behördliche Praxis im Umgang mit der Normalzahl. Dieser Wert wurde bei der Anlage der Judenmatrikel gemäß dem Edikt von 1813 ermittelt und legte fortan die Zahl der erlaubten ortsansässigen jüdischen Familien bzw. Haushalte fest. Damit war eine Beschränkung der jüdischen Bevölkerung beabsichtigt. In den Jahren 1848 und 1851 betrug jedoch Anteil der Immatrikulierten im rechtsrheinischen Bayern über der Normalzahl gut acht Prozent. So ist dieses Ergebnis auch das wichtigste, aber nicht alleinige, Argument die Matrikelpraxis als liberal zu klassifizieren. Weiterhin stützt seine Einschätzung der moderate Umgang mit den Nichtimmatrikulierten. In München und Würzburg, wo die Zahl der Nichtimmatrikulierten besonders hoch war, erhielten diese Aufenthaltsgenehmigungen. Mehler ist nicht der erste Historiker, der die restriktive Lesart des Judenedikts kritisiert, jedoch der erste, der diese Kritik auf eine breite und repräsentative Datenbasis stellt. Daran müssen sich in der Zukunft weitere Analysen messen lassen.

Die verdienstvolle Studie räumt mit einer ganzen Reihe von fehlerhaften Vorstellungen im Zusammenhang mit Matrikelvergabe auf, beispielsweise, dass nur über die Vererbarkeit der Matrikelstelle auf den ältesten Sohn der Eintrag möglich war. Der Frage, ob es ein generelles Einwanderungsverbot für Juden gegeben habe, widmet er ein eigenes Kapitel, in dem er verschiedene Einwanderungsmöglichkeiten nachweist.

Eine weitere Stärke der Arbeit liegt in der Hypothesenbildung. An zahlreichen Stellen diskutiert Mehler das Zusammen-spiel von ökonomischen, demographischen und politischen Faktoren wohlwissend, dass nähere Forschungen zu Natalität, Mortalität und Migration notwendig sind um zu überzeugenden Antworten zu gelangen. Im diesem Sinne steht am Ende der Arbeit ein Ausblick, in dem der Autor Forschungsdesiderate formuliert. Eingehende Untersuchungen der Kreismatrikel für Ober- und Mittelfranken erscheinen lohnenswert, aber auch die zahlreichen Ortsmatrikel und dort vorhandenen Individualdaten können Auspunkt für weitere Forschung sein. Im diesem Sinne ist das im Buch enthaltene Ortsregister für künftige landesgeschichtliche Forschungen sicherlich eine Hilfe. Dem sechseitigen englischsprachigen Summary im Anhang ist eine entsprechende positive Resonanz im  international angelegten Feld der deutsch-jüdischen Geschichtsforschung zu wünschen. Lediglich das Fehlen jeglicher Karten wäre zu monieren, eine Tatsache, die nicht unbedingt zu Lasten des Autors geht.

Martin Liepach, Frankfurt am Main

Zuerst erschienen in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Band 75, Heft 2,/2012, S. 623-625.

 

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